Welche Predigt will die Gemeinde?
Quelle: Franz Pieper: Vermischtes. Aus: Lehre und Wehre 1929 (75), S. 44-46. Pieper zitiert aus der Zeitschrift Lutherischer Herold.
Worüber predigen?
„Wenn ich ein Pfarrer wäre, würde ich nie über Literatur, Wissenschaft oder Politik predigen. Religion wäre mein einziger Gegenstand. Wir Laien haben die Zeitung satt, wenn wir zur Kirche kommen. Wir wollen keine Wiederholung derselben von der Kanzel. Für den Pastor mit seiner theologischen Bildung und seiner steten Beschäftigung mit der Bibel und mit geistigen Dingen mögen die Tagesereignisse und Zeitfragen den Reiz der Neuheit haben. Bei den Gemeindegliedern ist gerade das Gegenteil der Fall. Ihnen ist das frisch und immer neu, was dem Pastor das Alltägliche ist. Noch mehr: Gerade dies ist seine Stärke und Festung. Sobald er diese verläßt, sieht er sich von allen Seiten angegriffen. Doch wenn er die Sünde straft und die Gnade preist, wenn er tief aus der Bibel schöpft und nicht aus klassischen oder gar minderwertigen Büchern, wenn er über die Zeit zur Ewigkeit weist, dann ist seine Predigt immer neu und verfehlt nicht, die Hörer zu fesseln. In gleicher Weise wie David soll er schwere Rüstung verschmähen und Riesen aller Art mit seinen eigenen Waffen zu Boden schlagen. Nach des HErrn Befehl sollen seine Gesandten Menschenfischer sein. Zum Fischfang gehört der rechte Köder. Uns Laien treibt das Verlangen nach christlicher Nahrung zur Kirche. Wäre ich ein Prediger, so würde ich ihnen allemal das Echte und Rechte bieten. Mein eigenes Herz würde ich erforschen und so weit wie möglich die Herzen der Hörer. Ich wollte nachsinnen über Sünde und Versuchung, Hoffnung und Furcht, Angst und Sorge und mich vertiefen in Lust und Leid des menschlichen Lebens. Für alles, was ein Menschenherz erfreut und betrübt, erbaut und zerreißt, wollte ich aus der himmlischen Welt [der Heiligen Schrift] ein wirksames Mittel suchen. Die ganze Welt sollte mir predigen helfen, daß ich wie ein Brennspiegel die Lichtstrahlen sammeln und auf einen Punkt werfen würde. Solcher Predigt wird es an willigen Hörern nie fehlen. Das sehen wir an den treuen Zeugen evangelischer Wahrheit.
Wie predigen?
Zum andern, wäre ich ein Pastor, so wollte ich mit ganzem Ernst predigen. Wir Zuhörer öffnen gerne dem Prediger das Herz, der überzeugend spricht. Damit soll nicht gesagt sein, er müsse lebhaft gestikulieren oder der Bibel Faustschläge erteilen, auch nicht trompetenartig schmetternd oder in erzwungenem Bass reden. Doch wie der Vortrag immer sei: Der Prediger soll sein Thema beherrschen. Er soll ein Prophet sein. Der Geist Gottes muß ihm dieses gegeben, das Feuer von oben [die Heilige Schrift] ihn völlig durchglüht haben. Das Angesicht muß es schon zeigen: Nicht ausdruckslos mit kalten Augen und steifen, starren Lippen, sondern leuchtend vor Begierde, beweglich, wie ein aufs Signal harrendes Streitross. Die Stimme wird’s zeigen: Nicht ausdruckslos, auch nicht im berüchtigten Kanzelton, sondern vielleicht wie ein Kaufmann seine Waren anpreist. Und seine Predigt soll es zeigen: Kein flüchtiges Laufen ,über‘ den Text; nicht viele Geschichten; keine überflüssigen Erklärungen; kein Beweisen, was niemand bezweifelt; aber eine Predigt, deren erster Satz eine kräftige Wahrheit enthält und durch alles Folgende dem Hörer diese Wahrheit näher bringt; eine Predigt, durchglüht von Überzeugung und dennoch für den kalten Verstand unwiderleglich; eine Predigt, im Wort gebunden, nicht wie ein blinder Sklave, sondern ein überzeugter Jünger; ein Reden wie ein Bruder zum Bruder, frisch genug, um zu reizen; einfach zum leichten Behalten.
Solche Predigt tut uns Laien not. Ihr lieben Pastoren! Gebt uns ernste Predigten. Predigt wie sterbliche Menschen zu Sterbenden, ja noch mehr: wie Lebende zu den Lebendigen. Dann werden wir euch gerne hören, euch folgen und Gott preisen.“